Gründe gibt es mehr als genug, diese Plattform nicht zu nutzen.
Klar ist doch, dass wir uns als Einzelhändler mit den heutigen Vertriebsplattformen wie Amazon, Idealo, Real, eBay und co. enorm geschädigt haben. Wir knüpfen für uns und unsere Mitbewerber unseren eigenen Strick und erkennen im Rausch des schnellen Geldes nicht die gewaltigen Folgen dessen, was uns zerstört. Man könnte fast meinen, es gibt keine Hoffnung mehr. Ich würde dennoch nicht gänzlich von den Plattformen abraten, aber ich würde raten sich mit diesen und den sozialökonomischen Folgen zu befassen. Hierzu kann ich Prof. Dr. Alexander Deichsel, Dr. Arnd Zschiesche oder Prof. Dr. Oliver Errichiello Bücher zu diesem Thema empfehlen. Ein kurz zusammengefasster Auszug Errichiello Expertise ermöglicht einen schnellen Einblick in die Thematik:
Der Vertrieb über Online-Plattformen wird als zeitgemässer und bequemer Weg der Marktdurchdringung angesehen: Preise lassen sich unmittelbar «anpassen» (das heißt im Normalfall reduzieren) und damit die Sichtbarkeit erhöhen. Im Gegenzug verdienen die Plattformen über die auskömmlichen Verkaufs-Provisionen und Anzeigen ihrer Zulieferer – ohne selbst irgendwelche Formen des realen Risikos und der Verantwortung einzugehen. Diese tragen allein die Leistungserbringer für ihre Mitarbeitenden, Kunden und im Gegensatz zu den Steuervermeidungsoptionen der New Economy sogar für ihre Gesellschaft (dies macht das öffentlichkeitswirksam inszenierte soziale Engagement der New Economy sehr fragwürdig). Bei näherer Betrachtung ist dieser Zustand ärgerlich, aber in Wirklichkeit noch viel vernichtender: Plattformen sind in ihrer Struktur darauf ausgelegt, eine Preisspirale nach unten zu systematisieren. Ihr grundlegender Algorithmus beabsichtigt, das beste Angebot zum billigsten Preis prominent in Szene zu setzen. Warum? Ganz simpel: Weil es sich am schnellsten verkauft. Da aber immer mehr Unternehmen die Plattform situativ nutzen, um Überhänge oder Kapazitäten in den Markt zu drücken, sinkt das durchschnittliche Preisniveau stetig und in aller Regel sofort. Früher nannte man dieses Verhalten «Ware versenken» mit dem Unterschied, dass die Wahrscheinlichkeit, dass alle Kunden von einem besonderen Angebot in einem fernen Discounter erfuhren, relativ gering war. Die Kundschaft lernt die immer niedrigere Preiskultur allerdings dauerhaft und kein Unternehmen der Welt ist in der Lage, die «gefühlt richtigen» Preise erneut in eine gesunde Relation zu rücken. Die Anbieter hoffen auf die uneingeschränkte Unterstützung (Marktmacht) der Plattformen, sodass sich der Kunde für ihre Angebote entscheidet. Dieses Hoffen ist sehr teuer (bis ruinös) für den eigentlichen Leistungserbringer.
Der entscheidende Treiber der Plattform ist also die auf den Preis gerichtete Aufmerksamkeit. Einen Aspekt muss eine Plattform dagegen vehement ausschliessen: Die Kraft einer Marke in den Fokus zu rücken. Im Gegenteil: Jede Plattform muss eine Leistung zu einer Commodity, zu einem Allerweltsprodukt, zu einem No-Name machen. Denn wenn der Zweck der Plattform das günstigste Angebot ist (neben anderen, aber viel unwichtigeren Faktoren), dann ist der Zweck einer Marke, sich dem Preiskampf und dem Wettbewerb zu entziehen, indem sie ihre Preiskultur durchsetzt. Es besteht demnach ein struktureller Zielkonflikt.
Klar ist: Die heutigen Plattformen erschaffen keinen Wert; sie schöpfen ihn nur ab. Den Plattformen ist es gelungen, sich als diejenigen zu verkaufen, die viel Nutzen für wenig Geld anbieten, ohne selbst irgendeine der angebotenen Leistungen zu erbringen (was dem Kunden aber völlig egal ist). Der Kunde fragt nicht danach, wie der Nutzwert zu ihm kommt; ihn interessiert nur und durchaus nachvollziehbar, dass er den Nutzwert (möglichst billig) erhält. Dass schliesslich die Beurteilungen der Kunden dafür eingesetzt werden, den Leistungserbringer im Sinne immer höherer Erwartungshaltungen zu erziehen, da die schlechte Beurteilung automatisch zu einem schlechteren Ranking führt (das so manches Mal wieder als Anzeige erkauft werden muss), macht die listige Konzeption der Plattformen umso deutlicher.
Es wird ersichtlich, dass die Plattformen zwar kurzfristig ein Mittel sind, um ökonomische Durststrecken zu überwinden, aber extreme Risiken beinhalten. Es empfiehlt sich also, den Vertriebskanal Plattform bei einer langfristig orientierten Wertschöpfungsstrategie vor allem dosiert zu bespielen. Ein absolutes Ignorieren wäre allerdings fatal.
Die einzige Möglichkeit dem Automatismus der «digitalen Angebotsschütte» zu entgehen, bleibt allerdings die spezifischen Erwartungsmuster einer Marke zu betonen und zu verfestigen. Auch und gerade im Internet. Dies gelingt allerdings nur, wenn die Marke sich nicht versucht über eine imageorientierte, d.h. oberflächliche Differenzierung zu positionieren, sondern Content liefert, der die kulturell verankerten Gewohnheitsmuster weiter verstärkt und entwickelt.
Der Markt befindet sich insoweit in einer totalen Umbruchsphase, wobei die Content-Inhaber, da sie am wenigsten vermehrbar sind, die großen Gewinner dieses Prozesses sein werden. Denn trotz aller Preisorientierung ist es – konsumpsychologisch betrachtet – zunächst das latente Bedürfnis, das einen Kaufimpuls auslöst: Uns gefällt eine Leistung. Erst im zweiten Schritt prüfen wir, ob diese Leistung unserem Wertempfinden entspricht. Damit aber überhaupt eine unterscheidbare Vorstellung «über ein Produkt» existiert, gilt zunächst klare Leistungserwartungen in den Köpfen der Menschen zu verankern.
Nie waren Vorurteile so wertvoll wie in Zeiten des unendlichen digitalen Angebotes.
Der einzige logische Weg ist demnach sich als Marke zu etablieren, sich seinem Parasitismus bewusst zu werden und die Vertriebsplattformen auf ein gesundes Maß zu reduzieren. Es mag zunächst vielleicht viel verlangt sein, wird aber mit einem starken und langanhaltenden Fundament belohnt.
Was nützen aber wenige Stimmen, wenn sich größere Unternehmen wie JTL möglicherweise Ihrer Verantwortung nicht bewusst werden können und die genannten Plattformen stärker als nötig bewerben, weil sie damit eben existentiell wirtschaften? Es gehört wohl viel Glaube, Mut und ein offener Geist dazu neue Wege zu gehen.
Ich würde es mir wünschen das JTL sich das Amazon-Logo vom Ladebildschirm kratzt, und dass man den Fokus auf den Einzelhändler legt, die eignen JTL Kunden unterstützt und nicht so stark die Vertriebsplattformen fixiert. Meiner Meinung wäre das ein großer Gewinn für JTL.
Wenn wir man mal über den Horizont hinausschauen, werden wir erkennen, dass auch Unternehmen wie JTL sich selbst im Weg stehen und sich langfristig nicht weiter entwickeln können, ja sogar am Ende den Wendepunkt verpassen könnten.
Ich liebe JTL und den unbändigen Innovationsgeist den es an den Tag legt. JTL bietet mir als Händler jetzt schon, alle Möglichkeiten um langfristig erfolgreich zu werden. Man muss es nur richtig einsetzten.
Wie heißt es so schön, jeder ist seines Glückes Schmied. Im diesem Sinne
Dobranoc